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Steven Adamczewski, H.W. Kurth, Ulrike S.

 

Tiergarten

1979, 16 mm (1:1,33), Farbe, 79 Min.

Regie, Buch, Kamera, Ton, Schnitt, Produktion: Lothar Lambert.

Darsteller: Steven Adamczewski, Dagmar Beiersdorf, Erich Förtsch, Marion Herschel, Mustafa Iskandarani, Alfredo Julian, H.W. Kurth, Lothar Lambert, Dorothea Moritz, Erika Rabau, Uwe Sange, Ulrike Schirm [alias Ulrike S.], Roland Stoos, Beate Hasenau, Stefan Menche u.a.

  

Kurzinhalt

Eine – nicht zuletzt angesichts ihres gefühlskalten Gatten – frustrierte Hausfrau spaziert regelmäßig durch den Berliner Tiergarten, wo sie sich zu Gedichten inspiriert fühlt. Auch für andere einsame Herzen dient die Grünanlage als Zufluchtsort und Treffpunkt, darunter Ausländer, Homosexuelle, Prostituierte, Suchtkranke und ein Behinderter. Als die Hausfrau erfährt, daß in dem Park des Nachts eine bekannte Kabarettistin einem Sexualmord zum Opfer gefallen ist, zieht es sie auch zu später Stunde dorthin.

 

Inhalt (ENTHÄLT SPOILER)

Abwechselnd sieht man einen leuchtenden Kandelaber bei Nacht, einen Park bei Tag, Lichter im Dunkeln. Dazwischen eine Person, die, das Gesicht abgewandt, am Ufer einer Schleuse liegt, ein Arm fällt herab. [weiter]

 

Lothar Lambert erinnert sich (2009)

„Tiergarten“ wurde inspiriert durch den Sexualmord an einer Kabarettistin von den Berliner „Stachelschweinen“ an der Tiergartenschleuse des Landwehrkanals. Man fragte sich, was die da nachts zu suchen hatte. Die Tat ist nie aufgeklärt worden. Bei mir spielte Beate Hasenau die Rolle dieser Frau, die da rumtaumelt und Männer aufreißt, genannt „Renate Ratenau“. Die Gedichte, welche Dagmar Beiersdorf in ihrer Rolle rezitiert, hat sie selbst geschrieben und in einem Buch publiziert, mit Holzschnitten eines bekannten Künstlers. Eins daraus hatte ich bereits in „Faux Pas de deux“ verwendet. In „Tiergarten“ hab ich auch Dokumentaraufnahmen eingebaut, zum Beispiel wie die Feuerwehr eine Leiche aus dem Wasser holt, oder Leute gefilmt, die da rumsaßen. Bei den Darstellern war das Prinzip ganz konsequent: Wer Zeit und Lust hatte und da war, wurde an dem Drehtag beschäftigt. Wer selten Zeit hatte, hat folglich nur eine kleine Rolle bekommen. So hat sich dann teilweise die Gewichtung der Figuren verschoben gegenüber meiner ursprünglichen Planung.

Erika Rabau spielte in „Tiergarten“ zum ersten Mal bei mir mit. Heute sagt sie, das sei ihr der liebste meiner Filme, obwohl ihr Bruder danach monatelang nicht mehr mit ihr gesprochen hätte, wegen der Szene, in der sie von Mustafa Iskandarani quasi vergewaltigt wird. Ich hatte sie schon vorher gekannt, durch Bernd Lubowski, mit dem sie dann in einer Episode von „Gut drauf, schlecht dran“ spielte, kurz vor seinem Tod. Heute ist sie meine dienstälteste Dauer-Darstellerin. Sie hat mich immer gedrängt, sie wieder mitspielen zu lassen, aber meist war sie dann, wenn wir gedreht haben, verreist und hinterher ganz verwundert, daß ihre Rolle so klein wurde.

Auch Ulrike S. hatte in „Tiergarten“ ihre erste Rolle bei mir, noch unter ihrem bürgerlichen Namen. Bei „Die Alptraumfrau“ hab ich dann gedacht, der wäre kontraproduktiv für so eine schillernde Rolle, und ihn abgekürzt. Kennengelernt hab ich sie durch Steven Adamczewski, der in „Tiergarten“ einen Penner spielt. Die beiden hatten zusammen mit dem H.W. Kurth und dem Roland Stoos eine Performance gemacht, die auch in dem Film zu sehen ist, so eine Schwarze Messe, vor zahlenden Gästen in der Wohnung von Adamczewski, der Bildender Künstler ist. Und schließlich spielte auch Stefan Menche in „Tiergarten“ erstmals bei mir mit. Den hatte irgend jemand mitgebracht zur Premiere von „Faux pas de deux“ im Colonna, dem heutigen Xenon-Kino. Wir wurden dann auch Freunde, am Anfang sind wir sogar mal miteinander im Bett gelandet. Dann hat sich Ulrike mit ihm angefreundet, Hans Marquardt kam dazu, wir Vier waren schließlich der feste Kern der „Lambert-Family“ – in dem sich die Dynamik öfter gegen mich richtete. Aber das war harmlos im Vergleich zu den Querelen etwa bei Fassbinder, nehm ich mal an.

Daß sich in manchen Sequenzen von „Tiergarten“ Tag- und Nachtaufnahmen unmotiviert abwechseln, hat mich damals nicht angefochten. Nach der Uraufführung hat auch niemand beklagt, daß der Film schlimme Belichtungsfehler hätte, etwas nicht zu erkennen gewesen wäre. Vielleicht waren die Zuschauer damals auch noch toleranter. Bei anderen Filmen war ich sauer, wenn ich eine Aufnahme zu sehr verwackelt hatte, durch Ranzoomen oder so. Die Doppelbelichtungen bei einigen Einstellungen am Ende von „Tiergarten“, zum Beispiel jenen mit der Bahnhofsuhr, sind aus Versehen geschehen. Aber sonst erinnere ich mich an keine Probleme, auch nicht daran, daß mir das Farbfilmmaterial besondere Schwierigkeiten bereitet hätte. Daß ich nach „Tiergarten“ bis zu „Gut drauf, schlecht dran“ die mit ganz geringem Budget ausgestatteten Filme alle in Schwarzweiß gedreht habe, liegt vielleicht daran, daß ich gemerkt habe, daß Schwarzweißmaterial empfindlicher ist, einfacher zu handhaben, wenn man ohne Kunstlicht arbeitet oder mit nur einem Scheinwerfer. Vielleicht hatte sich auch der Reiz, in Farbe zu drehen, nach „Faux Pas de deux“, „Nachtvorstellungen“ und eben „Tiergarten“ erstmal erledigt und ich bin wieder zu dem gewohnten Material übergegangen. Als „Gut drauf, schlecht dran“ entstand, hatte sich auch die Kostensituation umgekehrt: Inzwischen war Schwarzweiß- teurer als Farbfilm. Und bei den Fernsehanstalten wurde es bemängelt, wenn etwas nicht in Farbe war. Es machte also keinen Sinn mehr, in Schwarzweiß zu drehen: Es war teurer und überall unbeliebter, jeder hat es plötzlich verbunden mit etwas Billigem, Überholtem. Heute hat es wieder diesen Kunstcharakter, weil es so selten geworden ist, daß es als ganz große ästhetische Entscheidung gilt, wenn man in Schwarzweiß dreht.

 

Kritische Anmerkungen

„Tiergarten“ ist ein Werk des Übergangs, interessant hinsichtlich der weiteren Entwicklung von Lothar Lamberts Filmschaffen, ein Experiment, aber nur bedingt ein gelungenes. Zum ersten Mal gibt es keine wirkliche Hauptfigur, sondern eine ganze Reihe von Charakteren, deren Schicksal mehr oder auch weniger ausführlich geschildert wird, was den Film streckenweise etwas konfus und dadurch langatmig wirken läßt. „Tiergarten“ ist ein Prospekt Mühseliger und Problembeladener, wie er für Lamberts Spielfilme spätestens mit „Was Sie nie über Frauen wissen wollten“ typisch wird. Es gibt eine alkoholkranke, vermutlich auch sexsüchtige Künstlerin, einen obdachlosen Amerikaner, der im Park campiert, jede Menge Prostituierte (darunter eine Drogenkonsumentin), Homo- oder Bisexuelle und andere illustre, bizarre bis zwielichtige Gestalten. Nicht zu vergessen viele Ausländer aus südlichen Gefilden – die Faszination und erotische Attraktion, welche sie einst auf die alteingesessene deutsche Bevölkerung ausübten, hat Lothar Lambert in seinen frühen Filmen immer wieder thematisiert. Hier wird sie sogar ironisiert: Die abgetakelte Kabarettistin erkundigt sich bei jedem ihrer Kopulationspartner vorher, ob er Türke sei, vermutet sie bei diesen doch offenbar besondere Leidenschaft (oder was sie dafür hält). Darüber hinaus wird Ausländerfeindlichkeit gezeigt, und wie in „Nachtvorstellungen“, „Paso doble“ oder „Der sexte Sinn“ erscheinen die Fremden generell als besonders hilfe- und schutzbedürftig.

Aber neben all diesen Existenzen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen, gibt es in „Tiergarten“ auch, als einen dünnen roten Handlungsfaden, eine von ihrem Hausfrauendasein und vor allem ihrem gefühlkalten Gatten frustrierte Frau aus gutkleinbürgerlichen Verhältnissen – eine zentrale Figur in Lamberts kommenden Filmen wie „Die Alptraumfrau“ (auf die dort wichtigen erotischen Träume der Protagonistin gibt es hier schon einen Vorgeschmack), „Fucking City“ oder „Paso doble“. (In „Tiergarten“ zeigt die Dame Zeitgeist, indem sie – wie es ähnlich noch einmal in „Der sexte Sinn“ geschieht – mit wechselnden Perücken herumläuft: In erster Linie kein Versuch der Verkleidung, vielmehr war es seinerzeit absolut gesellschaftsfähig, wenn nicht gar schick, unvermittelt mit solch einer „Zweitfrisur“ – wie man das damals zumindest in der Reklame nannte – aufzutauchen.) Abgesehen davon finden sich in „Tiergarten“ überraschend wenige Lambert-typische Versatzstücke: ein prüfendes Posieren vor dem Spiegel, der Ansatz einer Selbstbefriedigung in der Badewanne, das unbemerkte Beobachten eines intimen Augenblicks.

Nach dem größtenteils dokumentarischen „Now or Never“ hat Lambert mit „Tiergarten“ zum ersten Mal auch einen Spielfilm quasi im Alleingang gedreht, als Produzent, Regisseur, Drehbuchautor, Kamera- und Tonmann, Cutter und nebenbei auch noch Darsteller. Ebenfalls als solche „Ein-Mann-Produktionen“ werden „Die Alptraumfrau“, „Fucking City“, „Fräulein Berlin“, „Die Liebeswüste“ (außer der Rahmenhandlung) und „So wahr ich liebe“ entstehen. Abgesehen von dem letztgenannten Film, der auf Video gedreht wird, macht Lambert aus der technischen und/oder handwerklichen Not eine künstlerische Tugend und läßt die Dialoge meist aus dem Off erklingen. In „Tiergarten“ ist sein kreativer Umgang mit Mängeln noch unbekümmerter: Hier sind die Gespräche auch dann aus dem Off zu hören, wenn der entsprechende Darsteller zu sehen ist. Wie diese Loslösung des Tones vom Bild, so weist auch die Freude an der Montage bereits in Richtung von „Die Alptraumfrau“: „Tiergarten“ zählt ebenfalls zu Lamberts schnittreichsten Filmen. Vor allem ist der Streifen voller Zwischenschnitte, welche teilweise die Kontinuität der Handlungsstränge durchbrechen: Lambert springt in der Chronologie hin und her (am Ende scheint gar eine Bahnhofsuhr rückwärts zu laufen), ähnlich wie er es schon in der Eingangssequenz mit Tag- und Nachtaufnahmen tut – mit seiner diesbezüglichen Unbekümmertheit, welche man freundlich als Experimentierfreude einstufen könnte, nähert er sich der berühmt-berüchtigten Ed Woodschen Tag-Nacht-Gleiche.

Allerdings mag dies auch daran liegen, daß „Tiergarten“, anders als „Now or Never“, in Farbe entstand. Und mit diesem Filmmaterial kam der Kameramann Lambert offenbar nicht allzu gut zurecht: Auch für seine Verhältnisse ist die Bildqualität hier streckenweise abenteuerlich, vor allem was die Belichtung angeht, selbst wenn womöglich einige Einstellungen „amerikanische Nacht“ werden sollten, also bei Tag gedrehte Aufnahmen, die man durch absichtliche Unterbelichtung als bei Nacht spielende ausgibt. Jedenfalls war dies nicht nur Lamberts erster, sondern für lange Zeit auch sein letzter „No-Budget-Film“ in Farbe: Seine nächste Ein- bzw. Zwei-Mann-Produktion in Farbe entstand mit „Gut drauf, schlecht dran“ erst 1993.

In „Tiergarten“ hat der Großstadtdschungel, den die Protagonisten in „Ex und hopp“ und „1 Berlin-Harlem“ durchstreifen, wirklich die Gestalt einer Grünanlage bekommen. Wäre er nicht aus der Realität übernommen, könnte ihr Name auch symbolisch verstanden werden, zeigen sich doch die Figuren dieses Films oft von animalisch anmutenden Trieben und Instinkten geleitet, machen sie den Park zu einem faszinierenden, aber eben auch gefährlichen Ort, an dem sogar der bis einschließlich „Fucking City“ in allen Lambert-Filmen vorkommende Tod lauert. Dabei ist hier der Berliner Tiergarten, zu Mauerzeiten noch mehr als heute wahrlich der „Central Park“ des Westteils der Stadt, Zufluchtsort und Treffpunkt, Stätte, an der man hofft, die Sehnsüchte zu stillen oder zumindest jemanden für diese Stillung zu treffen, mithin quasi grüner Kontakthof. Wie in Lamberts Filmen üblich, in denen es von je her bestenfalls verhaltene oder ironische Happy Ends gibt, wird das Glück aber nicht gefunden, erscheint Berlin auch in „Tiergarten“ als „Fucking City“, ohne daß die Schilderung des Sehnens, Suchens und schließlichen Scheiterns schon jene Überzeugungskraft und Wucht erlangen würde wie in Lamberts so betiteltem übernächstem Film. Eher wirkt „Tiergarten“ wie eine letzte Fingerübung, bevor mit „Die Alptraumfrau“ die Reihe seiner gelungenen Undergroundwerke anfängt, jener Lambert-Klassiker, zu denen neben „Fucking City“ und „Die Alptraumfrau“ auch „Fräulein Berlin“ und „Die Liebeswüste“ zählen – alle mit Ulrike S. in tragenden Rollen, die zum ersten Mal in „Tiergarten“ bei Lambert auftritt.

J.G.