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Als Feigling interessieren mich die risikofreudigeren Menschen

Lothar Lambert (nicht nur) zu seinem Film „Ritter der Risikorunde“

 

Als wir vor vier Jahren zusammensaßen und ein Interview zu deinem damals neuen Film „Alle meine Stehaufmädchen – Von Frauen, die sich was trauen“ machten, hast du gesagt: „Ich liebäugle mit der Idee, einen zweiten Teil folgen zu lassen, weil ich noch mehr interessante Frauenschicksale kenne. Ich hab auch überlegt, ob ich dasselbe mit Männern mache, weil ich ja auch ganz interessante Männer kenne – (...) Aber da ist eben das Problem, daß Männer nicht so freizügig über ihr Innerstes reden wie Frauen. Da müßte man wahrscheinlich viel mehr bohren und sie wirklich alle sehr gut kennen und locker machen.“ Nun ist doch solch ein Film entstanden.

Ja, und das Problem dabei war weniger, die Männer locker zu machen, als daß bei Männern sowieso vorausgesetzt wird, daß sie mutig sind und sich was trauen. Insofern war es schwierig, das zum Thema eines Films zu machen. So bin ich auf den Begriff „Risiko“ gekommen: Männer, die ein Risiko eingehen. Unter diesem Aspekt ließen sich einige meiner Freunde und Bekannten ganz gut subsumieren. Letzten Endes gehört Risiko ja zum Leben. Aber manche Menschen gehen eben größere Risiken ein als andere, und sie haben damit Erfolg oder scheitern auf interessante Weise. Und weil ich mich selbst zur männlichen Seite rechne, trotz aller Schwulitäten, hab ich in dem Film auch ein bißchen von mir erzählt: Daß ich ein Feigling bin und mich gerade deshalb die risikofreudigeren Menschen sehr interessieren.

Daß du entgegen Deiner früheren Absicht einen Film über Männer gemacht hast, ist aber auch insofern bemerkenswert, als eher Frauen im Mittelpunkt deiner Arbeiten stehen.

Wenn ich mich recht erinnere, hat das Haus See-Eck, Lietzenseeufer 10, mit dem der Film auch beginnt, den Ausschlag gegeben: Das hat mich so fasziniert, daß ich den Besitzer der repräsentativsten Räume – den Veit – in den Film reingenommen hätte, auch wenn er keinen Piep hätte sagen können. In diesen geerbten Wohnungen hat er eine Pension altmodischen Stils etabliert, und im größten Saal führt er auch noch Kulturveranstaltungen durch. Das fand ich sehr mutig und sehr risikofreudig, damit hab ich angefangen. Und mit seinem Freund, dem Cerell, der ebenfalls eine Pension betreibt und der als Mensch sogar noch interessanter ist. Es kam dann noch ein bißchen die schwule Komponente hinein: daß die beiden so ein verhindertes Paar sind. Dann habe ich geschaut, wer noch zu dem Thema passen könnte, und bin sogar auf Leute gekommen, die ganz dicht an mir dran sind, wie Albert Kittler, meinen engsten Mitarbeiter seit über zwanzig Jahren. Er hat eine tolle Vergangenheit als Rockmusiker und ist das Risiko eingegangen, diese Karriere einfach zu beenden und sich mit der Arbeit als Kameramann und Cutter autodidaktisch ein ganz neues Terrain zu erarbeiten. Dann Arnfried Binhold, der durch Pleiten vom Galeristen zum Makler geworden ist, also einen sehr toll beleumundeten Beruf eingetauscht hat gegen einen weniger gut beleumundeten.

In dem er aber wieder recht erfolgreich ist?

Ja, manche fallen eben immer auf die Füße, auch wenn sie zwischendurch mal Pleite gehen. Und so kam eine Handvoll Leute zusammen, auch Künstler wie der Schädelwaldt, der in meinen beiden letzten Spielfilmen mitgewirkt hat und mit seiner Manie für Schädel riskiert, ein Leben lang erfolglos zu bleiben. Wie bei den „Stehaufmädchen“ kenne ich eben manche der portraitierten Männer schon seit Jahren, andere hab ich für den Film „aufgerissen“. Manche sehe ich sehr oft, andere sehe ich seit dem Abschluß der Dreharbeiten gar nicht mehr. Mit manchen arbeite ich zusammen, mit manchen verbringe ich Freizeit, ins Bett gehe ich mit keinem.

Du hast den Film ja wieder eher nach Themen montiert und nicht nach Personen bzw. einzelnen Biographien.

Das ist eine Gefühlssache. Manchmal bieten sich beim Schnitt einfach Stichworte für Übergänge an, manchmal auch thematische Ähnlichkeiten, zum Beispiel daß zwei Leute Hausbesitzer sind. Außerdem geht es nach der Ergiebigkeit. Wer leidensfähiger ist und dem mehr Ausdruck zu geben vermag, kriegt natürlich einen prominenteren Platz innerhalb des Films. Wer verschlossen bleibt oder eher lapidar reagiert, den kann ich nicht zu einer Hauptperson machen, der bleibt dann in der zweiten Reihe. Das war ja bei den „Stehaufmädchen“ auch so, daß manche – sei es durch Schicksalsschläge, sei es durch Aktivitäten – automatisch mehr Raum in dem Film beanspruchten als andere.

Dafür, daß Albert Kittler seit langem dein wichtigster Mitarbeiter ist, hast du relativ wenig über ihn im Film.

Ich hab mich auf seine Musikerkarriere konzentriert. Über unsere Zusammenarbeit wollte ich mich jetzt nicht auslassen, weil ich das für diesen Film nicht als so wichtig empfand. Hier geht es ja um Brüche im Leben. Da fand ich viel interessanter seine traurige Kindheit, zum Beispiel daß er weggegeben wurde nach Belgien.

Worüber man aber auch nicht allzu viel erfährt.

Na gut, aber selbst wenn man nicht viel erfährt – es gibt einfach Tatsachen, die einen ganz besonderen Blick auf den Menschen erlauben. Das Außenseitertum, das er damals empfunden hat, ist immer noch virulent in ihm. Ich will jetzt nicht tiefenpsychologisch werden, Querverbindungen bleiben dem Zuschauer überlassen. Der Film ermöglicht es, in vielerlei Hinsicht Rückschlüsse zu ziehen. Gerade dadurch, weil er offen ist und nicht stringent eine Linie verfolgt, sondern alles eher assoziativ anbietet.

Ich hätte auch gern noch mehr erfahren über Albert Kittlers Zeit bei der Reichsbahn.

Wie die S-Bahn in West-Berlin funktioniert hat, das ist etwas, was den Berlin-Fan oder den Berlin-Kenner interessiert und ein Thema für sich. Der Film sollte ja nicht mehrere Stunden dauern.

Aber als Reichsbahner in West-Berlin warst du natürlich auch Außenseiter.

Na, das paßt doch! Wenn du so eine Kindheit hattest, wählst du vielleicht so einen Außenseiterberuf.

Daß man bei der Reichsbahn war, hat man ja, erst recht in den Jahren nach dem Mauerbau, als die West-Berliner ihre Wut durch den Boykott der vom Osten betriebenen S-Bahn abreagierten, lieber nicht erwähnt. Schon gar nicht hat man sich außerhalb des Bahngebiets in der Reichsbahner-Uniform blicken lassen. Aber soweit ich weiß, sagten sich viele der West-Berliner Bediensteten: Wir werden zwar von unserem Arbeitgeber mies behandelt und schlecht bezahlt, haben keine unabhängige gewerkschaftliche Vertretung, müssen die Reichsbahn-Poliklinik am Schöneberger Ufer nutzen, weil wir nicht im Westen krankenversichert sind, aber wenigstens ist unser Arbeitsplatz sicher. Als das dann 1980 plötzlich nicht mehr gegeben war, sondern die Reichsbahn aus Einsparungsgründen Leute rauswerfen wollte – als „erster sozialistischer Betrieb Westberlins“, wie sie sich gern nannte –,hat das das Faß zum Überlaufen gebracht und es kam zum Streik.

Also du siehst schon daran, wie lange du brauchst, um mir diese Situation zu erklären, daß das den Film gesprengt hätte.

Stimmt. Sollten wir dann lieber darüber reden, daß du – wie du mir schon einmal erzählt hast – bei den Aufnahmen, die auf Rügen entstanden sind, nicht dabei warst?

Wenn du möchtest...

Das ist ja nicht uninteressant, weil du bei der allerletzten Einstellung von „Ritter der Risikorunde“, wo Friederike Biebl, Schädelwaldt und Arnfried Binhold über dich reden, wohl nicht neben Albert Kittler hinter der Kamera gesessen hast.

Nein.

Wie hat sich das ergeben? Du hattest keine Lust, nach Rügen zu fahren?

Nein. Erstens kann ich wegen meiner Bandscheiben nicht so lange im Auto sitzen, zweitens hasse ich Reisen sowieso. Daher war ich ja schon bei den Rügen-Aufnahmen für meinen letzten Spielfilm „Zurück im tiefen Tal der Therapierten“ nicht dabei gewesen. Da war es sozusagen die logische Folge, für den Dokumentarfilm auch nicht mitzufahren. Außerdem gebärdet sich Schädelwaldt gern ein bißchen als Regieassistent. Da konnte ich ihm ja ein paar Sachen aufschreiben, die er sagen und fragen sollte, im Verein mit seiner Freundin Friederike Biebl. Was sie daraus gemacht haben, war zwar nicht hundertprozentig in meinem Sinne, aber ich hab mir dann die schönsten Sachen rausgesucht. Und dadurch, daß ich nicht dabei war, waren sie wahrscheinlich auch alle lockerer.

Höchstens im Hinblick auf dich.

Na ja, ich hab ja auch manchmal eine ungeduldige Art und hätte ihre Plaudereien vielleicht unterbrochen und in die Richtung gelenkt, die ich haben wollte. So floatete das ganz urlaubsmäßig dahin und es kam ganz umgebremst raus, was ich vielleicht gar nicht hinbekommen hätte.

Vielleicht solltest du immer so Filme machen?

Ein bißchen Kontrolle will ich schon haben, nicht nur am Schneidetisch.

Die hattest du wahrscheinlich auch bei deinem Gespräch mit Schädelwaldt vor der Kamera. Du hast ihm die Fragen, die er dir stellen sollte, vermutlich vorgegeben?

Nein, der ist ja so impulsiv und unkonzentriert, der vergißt im selben Moment gleich wieder, was ich ihm aufgetragen hab. Was dann kommt, sind seine Sachen. Aber er hat mich viel gefragt – soviel, daß es genug Material gewesen wäre für einen Film nur über mich.

Ich fand deinen Auftritt insofern besonders interessant, als mir zum ersten Mal deutlich wurde: Du bist womöglich nicht zuletzt deshalb Filmemacher geworden, weil deine Karriere als Zeitungsredakteur nicht weitergegangen ist. Hättest du diesen Job behalten, mindestens so lange, bis der „Abend“ Anfang 1981 eingestellt wurde...

...dann hätte ich gar nicht die Zeit gehabt, um Filme zu machen. Allerdings hab ich „Ex und hopp“ gedreht, als ich noch beim „Abend“ war. Die Kollegen von der Zeitung spielen da ja mit, auch noch in meinem nächsten Film „Ein Schuß Sehnsucht – Sein Kampf“.

Hast du dich denn bemüht, noch einmal eine Festanstellung zu bekommen?

Ich war noch kurz bei der „Berliner Morgenpost“ in der Werbeabteilung, als Texter. Da haben wir ja die Büroszenen für „Ein Schuß Sehnsucht – Sein Kampf“ gedreht.

Aber da warst du nur kurz?

Ja, weil ich da auch rausgeflogen bin.

Und dann hast du, als ausgebildeter Journalist, dich nie wieder um einen Redakteursposten bemüht?

Nein. Ich war ja dann als Freier tätig.

Damals konnte man als freier Mitarbeiter von Printmedien noch ganz gut leben...

Ja, das fand ich ganz schön. Ich hatte ja nie große Ansprüche. Und keinen Ehrgeiz, Karriere zu machen als Journalist.

Aber es hätte ja sein können, daß du den Anspruch hattest, eine feste Anstellung zu bekommen. Manche Leute werden doch ganz wuschig, wenn sie nicht ihren festen Arbeitsplatz haben, wo sie am besten jeden Tag zur gleichen Zeit erscheinen.

Ja, eigentlich wäre das ideal gewesen für die bürgerliche Seite meines Charakters. Aber da ich mich auch rasch an Mißlichkeiten gewöhne... Außerdem war ich immer von der schnellen Truppe, das war das Entscheidende: daß ich das Schreiben als freier Mitarbeiter nicht mehr als Arbeit empfunden hab. Als Arbeit hab ich empfunden, um fünf Uhr morgens aufzustehen und mich dann auseinanderzusetzen mit einem hysterischen Chefredakteur. Dem mußte ich immer die Sachen aus dem Ticker hintragen, und er wußte nicht: Nimmt er’s auf die erste Seite, kommt’s zu mir, zum Vermischten auf der letzten, oder ist es eine kleine Meldung, die man wegschmeißen kann? Seinem Geschmack oder Boulevardempfinden so ausgeliefert zu sein, das war schon anstrengend. Der Mann war nett, aber unheimlich aufbrausend. Das war Streß pur. Zusätzlich noch den Verleger im Rücken...

Man muß dazu erwähnen, daß der „Abend“ damals, Anfang der siebziger Jahre, nicht mehr abends, sondern mittags erschien, eine klassische Straßenverkaufs- und eigentlich eine Zweitzeitung war. Die West-Berliner mußten also jeden Tag neu dazu animiert werden, am Mittag oder am Nachmittag dieses Blatt zu kaufen.

Na, und es war eine Zeitung für die Studenten. Die sind ja erst aufgestanden, wenn der „Abend“ herauskam. Man mußte eben für die Titelseite irgend etwas haben, das zwischen dem Redaktionsschluß der Morgenzeitungen und unserem passiert war. Daraus mußte man etwas machen, etwas Sensationelles. Und man mußte man schnell sein: Wenn die Zeitung eine halbe Stunde später als üblich erschien, wurden gleich soundsoviel tausend Exemplare weniger verkauft. Erst hatte mich die Feuilletonchefin Elvira Reitze aus ihrem Ressort rausbugsiert, weil sie Angst hatte, ich als Nachwuchs könnte ihr etwas streitig machen. Dann durfte ich gerade noch ab und zu mal eine Filmkritik für sie schreiben, mußte aber die Redaktion des Vermischten übernehmen, mit Sekretärin, im Zimmer neben dem Chefredakteur. Ich war ganz froh, daß ich später als Freier nur einfach den Kulturteil beliefern konnte. Und mich auch nicht mehr mit diesen Rabauken in der Setzerei auseinandersetzen mußte.

Das waren noch Zeiten gewesen, als es noch Setzer gab!

Ja, das war nicht einfach. Später hab ich ab und zu Vertretung gemacht in verschiedenen Redaktionen. Zum Beispiel ein paar Monate lang im Feuilleton der „Welt“. Dann hab ich auch kurz bei einer Computerfirma gearbeitet. Also, ich bin dreimal ziemlich schnell aus Festanstellungen entlassen worden. Das hat mir gereicht.

Man könnte jetzt schön überleiten vom freien Journalisten zum freien Filmemacher...

Was ist denn ein unfreier Filmemacher?

Na ja, du hast auch diesen Film wieder unabhängig produziert, ganz aus deiner eigenen Tasche finanziert. Warum?

Weil mir keiner Geld dafür gibt.

Andere sagen: Dann mach ich den Film eben nicht.

Man gibt mir ja für keinen Film Geld.

Für ein paar Filme hast du Geld bekommen.

Aber nicht durch meine Initiative. Da steckten Geschäftsleute hinter, die sich meiner Fähigkeiten bedient und mich dafür bezahlt haben.

Aber warum versuchst du’s nicht auf dem „normalen“ Filmfinanzierungsweg?

Ich habe ja einen Beruf gehabt, der mich ernährt hat, egal ob gut oder schlecht. Die Filmerei hab ich immer als Hobby betrachtet. Dieses Hobby hat eben anfangs mein Geld gekostet, dann hat sich’s mal selber getragen, und dann hat sich’s – dadurch, daß ich diese Leute mit Fernsehverbindungen kennengelernt habe – manchmal auch bezahlt gemacht, natürlich in bescheidenem Rahmen, weil die Gagen immer gedrückt wurden, nach dem Motto: Leute, die aus dem Underground kommen, können mit Undergroundgagen zufrieden sein. So hat sich das geläppert, weshalb ich jetzt gar nicht sagen kann: Das war ein teures Hobby oder es war ein Zweitberuf, der mich ernährt hat – ich hab da keinen Überblick. Das Filmen ist für mich einfach eine Leidenschaft. Sowas sucht man sich ja nicht unbedingt nach Effektivität aus: Einer hat eine Leidenschaft, die ihn reich macht, und der andere eine, die ihn ruiniert. Das Filmen war eine ambivalente Leidenschaft, die auch Anerkennung in der Öffentlichkeit mit sich brachte, was ja auch Spaß bereitet, und die einen mit Leuten zusammengebracht hat, die man sonst nicht kennengelernt hätte, aus denen manchmal Freunde geworden sind. Und man hat durch das Filmen in viele Berufe reinschnuppern können, ohne den jeweiligen Beruf auszuüben: Schauspieler, Cutter, Drehbuchautor... Auch mußte man ein bißchen lernen zu organisieren, wenn man mit wenig Geld, wenig Leuten zurechtkommen wollte. Film ist ja eine sehr komplexe Sache, auch wenn man’s relativ simpel angeht. Also, auf vielen Ebenen hat das mein Leben sehr bereichert. Da stand Geldverdienen nicht an erster Stelle der Ambition. Es würde mir auch weiterhin Spaß machen, wenn es jetzt meine letzten finanziellen Reserven aufbraucht. Wie es aussieht, wird das so sein, aber trotzdem kann ich im Moment davon noch nicht lassen.

Dabei sollte „Ritter der Risikorunde“ eigentlich insofern eine gute Resonanz erzielen, als der Film mit seiner schnellen Montagetechnik gut in die heutige Zeit paßt. Deine Dokumentationen unterscheiden sich ja deutlich von dem klassischen Kino-Dokumentarfilm, wo man gern Sachen länger stehen, Leute länger reden, alles wirken läßt: Bei dir geht es schnell, schnell, schnell, eigentlich ideal für die ADS-Gesellschaft, wo man sich auf nichts mehr länger als zwei Minuten konzentrieren kann. So lang dauert bei dir keine einzige Einstellung.

Aber es sind ja Parallelmontagen: Ich kehre relativ schnell zu der Person und zu dem Thema zurück.

Aber du montierst, wie gesagt, nicht nach der einzelnen Person, ihrer Biographie, sondern vornehmlich nach Themen. Und dann muß man sich als Zuschauer ein Bild der Personen selbst zusammensetzen aus den Puzzleteilen, die du anbietest. Du lieferst keine klassischen Portraits: Erst die eine Person, was sie erlebt hat, denkt, dann die andere...

Das wäre mir zu langweilig. Die schnellen Schnitte mache ich nicht aus Kalkül, um modern zu sein. Ich hab ja schon immer diese etwas unkonventionelle Montagetechnik gehabt, und die hab ich bei den Dokumentarfilmen vervollkommnen können, weil die Logik eines Spielfilms immer noch ein bißchen behäbiger ist, als was man sich bei Dokumentarfilmen erlauben kann.

Na schön, aber dein – abgesehen von „Now or Never“ – erster Dokumentarfilm „So wahr ich liebe – Intime Bekenntnisse zweier Underground-Heroinen“ ist ja noch sehr viel langsamer und getragener.

Weil es darin um nur zwei Personen geht. Das ist ja auch ein Punkt: Wieviel kann man in einem Film unterbringen, ohne oberflächlich zu werden? Bei „Alle meine Stehaufmädchen“ hat mir ja zumindest eine Kritik bestätigt, daß, obwohl man nicht alles von allen erfährt, man doch das Gefühl hat, ein rundum zufriedenstellendes Informationspaket zu erhalten. Also kann diese Montagetechnik nicht ganz verkehrt sein.

Man könnte aber nicht nur fragen: Wieviel kann man in einem Film unterbringen, ohne daß oberflächlich zu werden? Man könnte auch fragen: Wieviel MUSS man unterbringen, um nicht an der Oberfläche zu bleiben?

Ich muß soviel unterbringen, wie mir Spaß macht. Und ich finde, es ist ähnlich wie im persönlichen Umgang mit Menschen: Manchmal genügt ein Satz, und man weiß, ob man mit dem Fremden kann, ob er einem unsympathisch ist oder man eine gewisse Tiefe entdeckt.

Manchmal sind einem Leute aber auch erst unsympathisch, und wenn man sie näher kennenlernt, ändert man sein Urteil. Oder umgekehrt.

Ja, aber bei meinem Film hat man achtzig Minuten Zeit. Es kann ja durchaus sein, daß man jemanden auch im Film anfangs langweilig findet und durch die Infos, die man im Laufe dieser achtzig Minuten kriegt, Verständnis für ihn entwickelt.

Aber einige „Ritter der Risikorunde“ läßt du nur wenig zu Wort kommen und teilst dadurch wenig von ihnen mit.

Die Frage ist, was jemand wirklich erlebt hat. Dann, ob er’s interessant wiedergeben kann. Und schließlich, ob ich von ihm berührt bin. Das ist für mich das erste Entscheidungskriterium. Du kannst davon ausgehen, daß die, die im Film am meisten Raum einnehmen, in meinen Augen die interessantesten sind. Außerdem muß ich immer schauen, daß der Film als Ganzes funktioniert. Wenn einer zu sehr zum Platzhirsch wird, ist das ungerecht allen anderen gegenüber. Ich habe ja lange an diesem Film herumgefummelt, länger als an vielen anderen, weil eben der rote Faden nicht so deutlich war. Manch einer wird vielleicht auch fragen: Du sagst doch selbst, du bist ein Feigling, was hast du in diesem Film zu suchen? Aber ich dachte eben, es wäre interessant als Kontrastfigur. Und auch als Erklärung, warum mich dieses Thema so interessiert hat, daß ich das Risiko eingegangen bin, nachher einen disparaten Film auf dem Schneidetisch zu haben. Das ist ja ein großes Risiko. Deshalb habe ich auch lange umgestellt und gekürzt. Manchmal sind Sachen ja gerade dadurch, daß du ihnen weniger Raum einräumst, nicht weniger informativ, sondern viel interessanter und berührender.

 

Das Gespräch wurde am 12. Dezember 2013 geführt von Jan Gympel.